Gretchenfrage

Vielleicht werde ich mich einmal entschließen
Vielleicht heirate ich am Ende doch
Wir werden das mit Traureden begießen
Nur eine Bitte hätte ich da noch:
Ich braucht das alte Buch nicht zu entstauben
Auch wenn ihr glaubt, dass man das halt so macht
Doch heut ist hier kein Platz für Euren Glauben
Er hat mir doch schon so viel Leid gebracht

Vielleicht wird es ja doch einmal geschehen
Und Kinder toben lachend durch mein Haus
Dann soll es ihnen nicht wie mir ergehen
Ich halt das Buch aus ihrem Leben raus
Bis sie soweit sind, selbst sich zu entscheiden
Wie sie sich ihre Sinnfragen erklären
Wie ihre Wahl auch fällt, sie sollen nicht leiden
Werd ihnen meine Liebe nie verwehren

Ich seh sie oft an ihren Trolleys stehen
Wenn ich des Tags durch meine Straßen geh
Und sie so tun, als ob sie mich nicht sehen
Dann tut das immer noch unheimlich weh
Wir teilten Liebe, Trauer und Vergnügen
Dass ich nicht glaubte, war ihnen nicht klar
Doch irgendwann wollt ich nicht länger lügen
Und seitdem bin ich für sie unsichtbar

Noch vor kurzem haben wir zusammen dem gleichen Gott gehuldigt
Jetzt seh ich sie nachts vor meinem Bett, und sie sprechen mich schuldig
Und es lässt mich oft nicht schlafen, denn es macht mich völlig fertig
Doch ich muss nun meinen Weg gehen, und glaubt mir eins, das werd ich

Drum bin ich nun auch gegen das allergisch
Was alle anderen Prediger mir schwören
Glaubt, was ihr wollt, für mich bitt ich energisch
Ich lass mich davon nicht noch mal zerstören

Und irgendwann wird es dann auch geschehen
Und ihr werdet vor meinem Grabe stehen
Dann lasst euch nicht in Predigten verlieren
Dankt nur für unsere Zeit, denn sie war schön
Dies eine Leben muss uns wohl genügen
Es nützt nichts, wenn man sich dagegen wehrt
Drum ist es auch zu kurz für all die Lügen
Sie haben doch schon viel zu viel zerstört

© 2023 Kai-Olaf Stehrenberg

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